Lage für Biden spitzt sich weiter zu
US-Präsident Joe Biden sieht sich mit neuen Forderungen konfrontiert, sich aus dem Wahlkampf um eine zweite Amtszeit zurückzuziehen.
Biden bricht Wahlkampftour wegen Corona ab
Fast zeitgleich kam US-Präsident Biden am Mittwochabend (Ortszeit) in seinem Strandhaus in Rehoboth Beach im Bundesstaat Delaware an. Dort zieht sich der 81-Jährige mit leichten Symptomen zurück, nachdem er wegen des positiven Coronatests eine Wahlkampfreise im Bundesstaat Nevada abbrechen musste. Die Erkrankung trifft Biden genau in dem Moment, in dem die Debatte über seine Kandidatur wieder entbrannt ist. Nach dem Attentat auf Trump bei einem Wahlkampfauftritt am Wochenende konnte Biden nur kurz verschnaufen.
Während Biden auf Wahlkampftour in Nevada unterwegs war, forderte der prominente demokratische Abgeordnete Adam Schiff den 81-Jährigen auf, aus dem Präsidentschaftsrennen auszusteigen. Kurze Zeit später berichteten Medien übereinstimmend, dass die beiden Top-Demokraten im US-Kongresses, Hakeem Jeffries und Chuck Schumer, Biden bereits in der vergangenen Woche davor gewarnt hätten, an seiner Präsidentschaftsbewerbung festzuhalten.
Bericht: Pelosi redet Bidens ins Gewissen
Schliesslich berichtete der Sender CNN unter Berufung auf nicht namentlich genannte Quellen, dass die demokratische Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi dem US-Präsidenten kürzlich in einem Gespräch gesagt habe, er könne Präsident Trump im Rennen ums Weisse Haus nicht schlagen. Biden reagierte demnach abweisend. Die "New York Times" schrieb hingegen, dass Biden sich in den vergangenen Tagen offen für derartige Warnungen gezeigt habe und sich die Argumente zumindest anhören würde. Als Quelle nannte die Zeitungen Demokraten, die über die Gespräche informiert worden seien.
Biden hat bislang alle Rückzugsforderungen zurückgewiesen und klargemacht, dass er nicht vorhat, hinzuschmeissen. In einem am Mittwoch ausgestrahlten TV-Interview sagte Biden auf eine entsprechende Frage, dass ihn ein medizinisches Problem dazu bringen könne, über einen Rückzug nachzudenken.
Der Demokrat steht wegen seines hohen Alters und Zweifeln an seiner geistigen Verfassung massiv unter Druck aus den eigenen Reihen. Seit einem desaströsen Auftritt bei einem Fernsehduell gegen seinen Kontrahenten Trump forderten ihn in den vergangenen Wochen diverse demokratische Abgeordnete auf, aus dem Präsidentschaftsrennen auszusteigen. Viele weitere äusserten sich öffentlich sehr besorgt über seine Wahl-Chancen.
Prominente Rückzugsforderungen
Der Abgeordnete Schiff, der sich um einen Posten im Senat bewirbt, erklärte nun, er habe ernsthafte Bedenken, ob Biden den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Trump im November besiegen könne. Biden habe grosse Erfolge zu verbuchen, aber es sei an der Zeit, den Weg freizumachen für jemand anderen. Schiff ist ein Vertrauter Pelosis. Die 84-Jährige hat in der Partei weiterhin grossen Einfluss und hatte vergangene Woche bereits in einem TV-Interview signalisiert, dass die Debatte um Bidens Kandidatur noch nicht beendet sei. Dass sie ausdrücklich darauf verzichtete, Biden ihre Unterstützung auszusprechen, machte Schlagzeilen.
Berichte: Top-Demokraten im Kongress warnten Biden
Auch auf höchster Parteiebene bereitet Bidens Beharrlichkeit offenbar Sorgen. Sowohl Schumer, Mehrheitsführer im Senat, als auch Jeffries, Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, hätten in der vergangenen Woche separat Gespräche mit Biden geführt und davor gewarnt, dass Bidens Festhalten an seiner Präsidentschaftsbewerbung dazu führen könne, dass die Demokraten die Kontrolle über beide Kongresskammern verlieren könnten.
Das berichteten die "Washington Post" und ABC News unter Berufung auf anonyme Quellen, die mit der Angelegenheit vertraut sind. Schumers Büro teilte als Reaktion auf die Berichte am Mittwoch mit, der Senator habe Biden die Ansichten seiner Fraktion übermittelt. Solange die Quelle nicht Schumer oder Biden heisse, bewege sich Berichterstattung im Bereich der Spekulation.
Neben dem Präsidentenamt werden bei der Wahl im November auch viele Sitze im Parlament neu vergeben. Das gesamte Repräsentantenhaus wird neu gewählt, im Senat steht ein Drittel der Sitze zur Wahl. Die Demokraten fürchten, dass die Republikaner nach der Wahl sowohl beide Kammern im Kongress als auch das Weisse Haus kontrollieren könnte. Etliche Parlamentarier haben Sorge, dass die fehlende Unterstützung für Biden auch sie die Wiederwahl kosten könnte.
Laufende Nase und Husten
Biden, der nach der Wahl im November im Amt bestätigt werden will, war am Mittwoch in Las Vegas unterwegs, um vor allem bei der hispanischen Bevölkerung um Stimmen zu werben. Der positive Coronatest machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Er habe Atemwegsbeschwerden, eine laufende Nase und Husten, teilte sein Arzt mit. Er habe seine erste Dosis des Covid-Medikaments Paxlovid bekommen. Biden gehört wegen seines hohen Alters zur Risikogruppe. Er war zuletzt im Sommer vor zwei Jahren positiv auf das Virus getestet worden.
Feierstimmung in Milwaukee
Ganz anders als bei den Demokraten ist die Stimmung aktuell bei den Republikanern. Beim Parteitag in Milwaukee wurde Trump am Montag offiziell zum Präsidentschaftskandidaten der Partei gekürt. Seine grosse Rede wird in der deutschen Nacht zu Freitag erwartet. Seit Beginn des Spektakels in der riesigen Veranstaltungshalle läuft Trump dort jeden Abend unter dem Jubel seiner Parteikollegen auf. Öffentlich äussern tut sich der 78-Jährige, der am Wochenende bei einem versuchten Attentat am Ohr verletzt wurde, nicht. Stattdessen sitzt er in einem speziellen Bereich im Publikum mit einem verbundenen Ohr.
Trumps Vizekandidat will Arbeiter überzeugen
Seine grosse Bewährungsprobe hatte am Mittwochabend (Ortszeit) Trumps Vizekandidat Vance. Er stellte Trump in seiner Rede als Mann der Mässigung dar, der nach dem Attentat zur Einheit aufgerufen habe. Gleichzeitig präsentierte sich der gefeierte Buchautor und studierte Jurist als Mann des Volkes. Der 39-Jährige versuchte in seiner Rede, besonders weisse Arbeiter in den sogenannten Swing States anzusprechen. Das sind wahlentscheidenden Bundesstaaten, die weder fest den Republikanern noch den Demokraten zugerechnet werden können.
Zuvor heizten Trumps Sohn Donald Trump Jr. oder der Gouverneur des Bundesstaats Texas, Greg Abbott, dem Publikum ein. Die Parteimitglieder brachen immer wieder in Jubel aus, hielten Schilder hoch, auf denen "Massenabschiebungen jetzt" stand oder riefen mit Blick auf Trumps nicht fertiggestellte Grenzmauer an der US-Südgrenze zu Mexiko "Baut die Mauer". Die Republikaner haben sich in den vergangenen Tagen in Milwaukee geeint präsentiert und zeigen sich mit Blick auf die Wahl im November gerade zu überschwänglich optimistisch.