Tiefer Einblick in das Wirken des Freiburger Labels strecke

"Wir haben uns damals zusammengetan, weil der Musikstil und die Dynamik an den Partys der hiesigen Lokale nicht unseren Bedürfnissen entsprachen. Wir wollten etwas Dunkleres, mehr Techno. Elektronische Musik mit einem freieren Geist und anderen stilistischen Einflüssen", erklärt Thibault Villard, Mitbegründer von strecke records. Das Kollektiv setzte sich zum Ziel, neue elektronische Musik verschiedener Couleur zu fördern und die Underground-Community in Freiburg florieren zu lassen. Das ist gelungen. Die Aktivitäten von strecke records zwischen 2016 und 2022 umfassten 15 Veröffentlichungen sowie eine Vielzahl von Events und Performances. Einige Veröffentlichungen bescherten dem Freiburger Label gar nationale und teils auch internationale Aufmerksamkeit.

Erfahrungs- und Begegnungsräume

In einer grösseren Stadt wäre es wohl schwieriger gewesen, in relativ kurzer Zeit eine dynamische Szene im untergründigen Kulturgeflecht zu etablieren. "Man kann hier gar nicht anders, als zusammenzuarbeiten", so Villard über den kooperativen Geist, der in der Freiburger Kultur- und Musikszene herrscht. "Die Dringlichkeit, zusammen einen Interaktionsraum zu schaffen, war damals sehr stark. Das hat viel Energie freigesetzt".

Mitte der 2010er-Jahre befand sich die Stadt Freiburg in vielerlei Hinsicht im Umbruch. Die etablierten Stadtfreiburger Kulturlokale trieben die Professionalisierung ihrer Strukturen voran, gewisse letzte Refugien einer andersartigen Idee von Nachtleben, wie etwa der Club Le Mouton Noir, mussten unter anderem wegen fehlender behördlicher Flexibilität und lärmempfindlicher Anwohnerschaft den Betrieb quasi einstellen, und Freiräume, die sich für spontane Partys und Begegnungen eigneten, wichen modernen Wohnungsbauten. Das Bedürfnis nach neuen spannenden Räumen für gemeinsame Erlebnisse und Versuche aber blieb, wie immer, bestehen.

"Musik zu machen, ein Label zu gründen und Events zu veranstalten hatte vor allem eine soziale Komponente", so Villard. Das rund zehnköpfige strecke-Kollektiv schuf Erfahrungs- und Begegnungsräume, physisch in Form von Events an verschiedenen Orten und auch digital via Label. Als Treff diente eine untervermietete Wohnung im hinteren Pérolles-Quartier, die seit Jahren von Kreativen und für Kapriolen verwendet wird. Erleben, mitwirken, gestalten, fernab von institutionalisierten Kulturstrukturen mit Regelwerk und Pflichtenheft.

Relativ schnell entwickelte sich eine spürbare Anziehungskraft um die Aktivitäten von strecke. "Es war eine Art Intensität, die irgendwie immer fühlbar war, und auf sozialem Niveau entfaltete sich schnell ein Zugehörigkeitsgefühl", schildert Vasco Tognola seine ersten Erfahrungen von strecke-Events. Der 20-Jährige ist in der letzten Phase von strecke zum Kollektiv gestossen. "Es war ein wichtiger Kontrast zum Alltag. Ein Kosmos, mit sehr vielen Gestaltungsmöglichkeiten und natürlich mit Musik, die mich und viele andere enorm interessierte".

Der richtige Sound

Als Label hat strecke records in sechs Jahren 15 Alben oder EPs veröffentlicht, die sich über ein grosses Spektrum der andersartigen und experimentellen elektronischen Musik erstrecken. Die Acts und ihre Musik wurden aber nicht nach sterilen Kriterien selektiert und plump gelabelt, sondern auch hier stand für das strecke-Kollektiv die Kollaboration im Zentrum. "Wir haben sehr oft mit neuen Künstlerinnen und Künstlern intensiv zusammengearbeitet und an ihrer Idee gefeilt, bis sich der richtige Sound herauskristallisierte", so Thibault Villard.

Das Label investierte sehr viel in die Produktion, um die Personen und ihre Musik voranzubringen. Ein Anspruch nach Verfeinerung und Verbesserung der Idee, was via Netzwerke national und international wahrgenommen wurde. So flackerten einige Titel von strecke auf diversen Plattformen auf oder Acts à la Noria Lilt, die Werke auf strecke veröffentlichten, wurden über die Landesgrenze hinaus gebucht, was wiederum mehr Aufmerksamkeit für das Freiburger Label bedeutete.

Ein Hörflug über die 15 Veröffentlichungen von strecke records gibt’s hier

Perspektiven

"2022 haben wir entschieden, aufzuhören. Sechs Jahre lang haben wir enorm viel Zeit und Energie investiert und haben unsere persönlichen Projekte oftmals auf die Seite gelegt", so Thibault Villard. Zudem war es während der Pandemie sehr umständlich, ein Kollektiv mit hohem Bedürfnis nach Interaktion florieren zu lassen. Auch intern gab es teils unterschiedliche Vorstellungen oder Wünsche. Normale Entwicklungen von vielen dynamischen und kreativen Projekten. Eine Entwicklung, die das Kernteam von strecke-records akzeptiert hat. "Wir haben die Dinge nie nur für uns gemacht. Wir haben viel von uns selbst für die Gemeinschaft gegeben und etwas geboten, was hier noch nicht existierte".

Es gehört oft zur natürlichen Entwicklung der Sache, dass junge engagierte Kollektive à la strecke eine gewisse Halbwertszeit haben. Auch in den Jahren davor gab es Gruppierungen, die sich in und um Freiburg engagierten und beispielsweise freie Kulturräume forderten, so wie etwa Raie Manta um 2010, die Nouveau Monde-Équipe in den 90ern, das Fri-Son-Team in den 80ern etc. Manchmal sind solche Bewegungen intensive aber flüchtige Momente, können aber auch eine Kontinuität gewinnen. Dieses für die Entwicklung einer Stadt wichtige Engagement junger Menschen, das auch viel Reibungswärme erzeugen kann, wird hoffentlich auch weiterhin in Städten wie Freiburg spürbar sein.

"In Freiburg gibt es zu wenig Freiraum, wo sich junge Menschen ausdrücken und experimentieren können, ohne von Regeln erdrückt zu werden. Was strecke und viele andere Kollektive gemacht haben, zeigt ja, dass dieses Bedürfnis da ist und die Leute enorm motiviert sind", meint Vasco Tognola.

Das strecke-Kollektiv reiht sich ein in eine Liste verschiedenster Gruppierungen der letzten Jahrzehnte, die in und um Freiburg zur Entwicklung der Musik- und Kulturszene beigetragen haben. Villard und Tognola sagen auch bewusst, dass sich das strecke-Kollektiv nicht als etwas Extraordinäres sieht, obwohl strecke eine gewisse Zeit lang das kulturelle Geschehen durchaus entscheidend mitgestaltet hat. Musikschaffen aus Freiburg wird auch durch dieses Engagement seit einigen Jahren immer stärker wahrgenommen, was zur grösseren Strahlkraft eines Ortes beiträgt.

strecke records archive 16-22

Damit sich das Erlebte und Geleistete nicht zu schnell verflüchtigt, hat strecke records ein Buchprojekt lanciert. Anders als eine sterile Dokumentation der sechs aktiven Jahre soll das Buch eine Perspektive "auf eine kleine Stadt, eine Periode, Leben, hybride Klänge und Kunstformen" eröffnen. Das Buch "strecke records archive 16-22" beinhaltet Bilder, Fotos, Texte, grafische Darstellungen, Links zu Musik, Berichte über gemeinsam Erlebtes. "Das Buch zeigt, was in den letzten Jahren stattgefunden hat und was es bedeutete, Teil dieser Entwicklung zu sein", so Thibault Villard. "Vielleicht wächst daraus ja auch Hoffnung und Inspiration für Neues".

Buchpräsentation "strecke records archives 16-22"
Herausgegeben von Éditions du Cric
Samstag, 27. Juli 2024, 19:00 Uhr, Friart, Freiburg
Performances, DJ- und Live-Sets
Das ganze Programm gibt's hier

Stimmen und Sounds rund um Geschichte und Wirken von strecke records gibt es in der aktuellen Ausgabe von Näb de Spur zu hören:

Tracklist:

anna sound - astral
Ivory A Ivy - Like This
Septentrio - 7n3
Lcp - Niederlass
Layer V - Blueshiftet Iris
Softy - Listen Style
Fels - Pigments
Jokari - Moon
Ivory A Ivy - Amer Beton
2UNDER8 - Sensualist
Septentrio - Hardcore Continuum (orignial edit)
Yatoni - B777
Namarone - Major Healing (ft. Nathalie Froehlich)
Goffbaby - India
Noria Lilt - TRC - The Rave Call