Vergeltungsangriff der Hisbollah
Die libanesische Hisbollah-Miliz hat nach eigenen Angaben mit ihrem angekündigten Vergeltungsangriff auf Israel begonnen.
320 Raketen seien am frühen Morgen auf Israel abgefeuert worden, erklärte die vom Iran unterstützte schiitische Miliz. Nach israelischen Medienberichten wurden 200 Raketen und rund 20 Drohnen vom Libanon aus auf Israel abgefeuert. Die israelische Raketenabwehr habe Dutzende Geschosse abgefangen.
Israels Armee erkannte nach eigenen Angaben "die unmittelbare Gefahr für die Bürger des Staates Israel" und begann zuvor in einem "Akt der Selbstverteidigung", zahlreiche Ziele im Süden des Libanons zu attackieren. Rund 100 Kampfflugzeuge hätten Ziele der Hisbollah im Süden Libanons angegriffen, erklärte die Armee. Die Raketenabwehr, Marine und Luftwaffe seien an den Angriffen beteiligt gewesen. Die Angaben beider Konfliktparteien konnten unabhängig zunächst nicht überprüft werden.
Israel im Ausnahmezustand
Israel verhängte den landesweiten Ausnahmezustand. Er gelte seit 6.00 Uhr Ortszeit (05.00 Uhr MESZ) für die nächsten 48 Stunden, sagte Verteidigungsminister Joav Galant. Der Rettungsdienst rief laut Medien die höchste Bereitschaftsstufe aus. Bei dem Angriff der Hisbollah seien drei Wohnhäuser getroffen worden, davon eines in der Küstenstadt Akko.
Die Hisbollah deutete an, dass sie ihren Vergeltungsangriff zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen werde. "Bis zum Ende dieser Militäreinsätze wird einige Zeit vergehen", erklärte die Miliz. Aus libanesischen Sicherheitskreisen hiess es, Israel habe mindestens 40 Ziele im Südlibanon angegriffen. Örtlichen Behörden zufolge wurden dabei zwei Menschen verletzt. Kampfflugzeuge hätten unter anderem Strom- und Wasseranlagen getroffen, berichteten die staatliche libanesische Nachrichtenagentur NNA und Sicherheitskreise.
Die "New York Times" zitierte einen westlichen Geheimdienstmitarbeiter, wonach sich Israels Angriff gegen Raketenwerfer im Libanon gerichtet habe, die so programmiert worden seien, dass sie um 05.00 Uhr Ortszeit in Richtung Tel Aviv abgefeuert werden sollten.
Die israelische Nachrichtenseite "ynet" berichtete unter Berufung auf eine nicht namentlich genannte Quelle, die Hisbollah habe einen Angriff auf eine "strategische Einrichtung im Bereich von Tel Aviv" geplant, einschliesslich eines möglichen Angriffs auf den Flughafen Ben Gurion. Nach libanesischen Angaben flogen Israels Kampfflugzeuge unter anderem nahe der Küstenstadt Tyros im Süden Libanons und griffen in mehreren Dörfern an.
Israel spricht von Tausenden zerstörten Abschussvorrichtungen
Es seien Tausende von Abschussvorrichtungen der Hisbollah angegriffen und zerstört worden, teilte Militärsprecher Daniel Hagari in einem X-Post mit. Die meisten davon seien auf den Norden Israels gerichtet gewesen, ein Teil aber auch auf das Zentrum. Im Zentrum des Landes liegt unter anderem die israelische Küstenmetropole Tel Aviv. Wegen der Bedrohungslage stellte der Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv kurzzeitig den Betrieb ein.
US-Präsident Joe Biden verfolgte die Eskalation nach Angaben des Weissen Hauses genau. Er sei im Laufe des Samstagabends (Ortszeit) in Kontakt mit seinem Team für Nationale Sicherheit gewesen, sagte ein Sprecher. Ranghohe Vertreter der US-Regierung hielten auf Bidens Anordnung hin laufend Kontakt zu ihren israelischen Amtskollegen. "Wir werden Israels Recht zur Selbstverteidigung weiter unterstützen und wir werden uns weiter für Stabilität in der Region einsetzen", erklärte der Sprecher.
Israels Armee warnt vor weiterer Eskalation
Hagari verkündete neue Anweisungen für Zivilisten vom Grossraum Tel Aviv bis zu Israels Nordgrenze. In dem Raum könnten die Menschen normal zur Arbeit gehen und ihre Kinder in Sommerlager schicken - unter der Bedingung, dass Schutzräume innerhalb kurzer Zeit erreichbar seien, sagte Hagari. Die andauernde Aggression der Hisbollah berge die Gefahr, "dass das libanesische Volk, das israelische Volk - und die gesamte Region - in eine weitere Eskalation hineingezogen werden", sagte er.
Israels Verteidigungsminister Galant sprach nach Beginn der Angriffe mit seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin. Die beiden Minister hätten betont, wie wichtig es sei, eine regionale Eskalation zu vermeiden, hiess es. Die USA sind Israels wichtigster Verbündeter und hatten zuletzt zusätzliche Kriegsschiffe, Flugzeuge und auch ein mit Raketen bestücktes Atom-U-Boot in die Region verlegt - wohl auch, um Israel im Fall eines Angriffs durch Kräfte im Libanon oder den Iran unterstützen zu können. Austin habe das "eiserne Bekenntnis der Vereinigten Staaten zur Verteidigung Israels gegen jegliche Angriffe des Irans und seiner regionalen Partner und Stellvertreter" bekräftigt, erklärte das Pentagon in Washington.
Die Gefahr eines Flächenbrandes in der Region droht, seitdem Ende Juli zwei führende Köpfe der Hamas und der Hisbollah bei Angriffen getötet wurden. Der Auslandschef der Hamas, Ismail Hanija, kam bei einer Explosion in einem Gästehaus der iranischen Regierung in der Hauptstadt Teheran ums Leben. Fuad Schukr, eine Art Militärchef der Hisbollah, wurde bei einem Luftangriff in Beirut getötet. Seine gezielte Tötung reklamierte Israel für sich. Zum Mordanschlag auf Hanija äusserte es sich nicht.
Gaza-Verhandlungen gehen weiter
Seit Beginn des Gaza-Kriegs zwischen Israel und der islamistischen Hamas vor mehr als zehn Monaten beschiesst die mit der Hamas verbündete Hisbollah-Miliz aus dem Libanon fast täglich Ziele im angrenzenden Norden Israels. Das israelische Militär wiederum greift regelmässig Ziele in dem Nachbarland an.
Die im Gaza-Krieg vermittelnden USA, Ägypten und Katar hoffen, dass durch eine Einigung bei den Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazastreifen und eine Freilassung der Geiseln auch eine Eskalation des Konflikts mit der Hisbollah und dem Iran und damit ein Flächenbrand in Nahost verhindert werden kann.
Die Gespräche darüber sollen heute in Kairo weitergehen. Eine israelische Verhandlungsdelegation unter Leitung des Chefs des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, wird nach Angaben der israelischen Zeitung "Haaretz" heute erneut in die ägyptische Hauptstadt reisen, um die Verhandlungen fortzusetzen. An dem Spitzentreffen nehmen demnach auch CIA-Chef William Burns, der katarische Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani sowie der ägyptische Geheimdienstchef Abbas Kamel teil. Auch Vertreter der Hamas sind vor Ort, wollen aber nicht direkt an den Gesprächen teilnehmen.