News für unsere Region.

Xhaka ist immer da

Der Gesundheitszustand von Granit Xhaka gibt vor dem Viertelfinal gegen England zu reden. Sein Einsatz wäre wichtig, denn der Captain spielt bisher eine hervorragende Endrunde.

Granit Xhaka überzeugt an der EM bisher mit starken Leistungen © KEYSTONE/PETER KLAUNZER

Die Frage ist suggestiv und doch berechtigt: "Ist das der beste Granit Xhaka, den man je in der Nationalmannschaft gesehen hat?" Ein Reporter stellte sie am Tag nach dem 2:0-Sieg im Achtelfinal gegen Italien. In diesem Spiel sass Xhaka nach einer Viertelstunde mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen, weil er eine Adduktorenverletzung spürte, die er sich im Penaltytraining zugezogen hatte. Kurz wurde es unruhig auf der Schweizer Bank.

Vincent Sierro wärmte sich vorsichtshalber auf, für Xhaka ging es aber nach kurzer Behandlung weiter. Und wie! Als wäre nichts gewesen, übernahm er seine gewohnt dominante Rolle im Spiel. Am Ende ging fast ein Fünftel aller Schweizer Pässe auf sein Konto, wobei Xhaka einmal mehr mit seiner Präzision überzeugte: 94 der 98 Pässe waren erfolgreich.

Und weil Xhaka bereits in den anderen drei Spielen geglänzt hatte, gegen Ungarn und Deutschland jeweils zum Mann des Spiels gewählt worden war, kam es zu jener Reporter-Frage. "Ich hoffe, die letzten Jahre waren auch nicht so schlecht", antwortete Xhaka trocken. Er sei ein bisschen älter und erfahrener geworden, resümierte der Mittelfeldstratege, der im September 32 Jahre alt wird. Aber letztlich sei auch er nur Teil eines Teams.

"Granit ist wie ein guter Wein: Je älter er wird, desto besser wird er." (Remo Freuler)

Taktgeber und Antreiber

Xhaka ist weit mehr als der Passverteiler im Zentrum. Er bestimmt das Tempo, treibt seine Mitspieler an und gibt Anweisungen. Wie weit das geht, zeigte sich auch im Achtelfinal, als Ruben Vargas auf Xhakas Zuruf ("Schiess!") den Ball auf den rechten Fuss nahm und in den Torwinkel zirkelte. Xhakas Wort gilt, seine Präsenz auf dem Platz ist unübertroffen.

Wie wichtig er für das Team ist, weiss Xhaka genau. Dass er dies nicht (mehr) selbst betonen muss, spricht für seine Entwicklung. Vor allem im letzten Jahr ist Xhaka in vielerlei Hinsicht reifer geworden. Der Mann der grossen Ansagen drückt sich besonnener aus, überlegt sich zweimal, ob und wann es eine Provokation braucht.

Von diesen gab es bei vergangenen Turnieren einige. Wobei die heissblütigen WM-Duelle mit Serbien vor dem Hintergrund der Familiengeschichte mit der Inhaftierung seines Vaters betrachtet werden müssen. Aber auch sonst war Xhaka stets einer, der seine Energie mitunter aus den von ihm erzeugten Reibungen mit den Medien, den Fans und den Gegnern bezog. Auch an diesem Turnier habe er überlegt, "etwas zu machen", erklärte Xhaka bewusst kryptisch. Er habe es dann aber gelassen. Denn: "Es tut auch mal gut, wenn alles ruhig ist."

"Wenn du am Ball bist, ist er da. Wenn du Zeit hast, ist er da. Wenn du unter Druck stehst, ist er da. Wenn du 0:3 zurückliegst, ist er da. Wenn du 2:1 führst, ist er da. Das ist Granit, er will immer den Ball, er will immer helfen. Deshalb ist er unser Captain." (Michel Aebischer)

In Leverkusen gereift

An der EM in Deutschland tritt Xhaka schon fast staatsmännisch auf, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine Zäsur war aber sicher der Wechsel im vergangenen Sommer. Nach sieben Jahren beim FC Arsenal, wo er sich nach Höhen und Tiefen als Publikumsliebling verabschiedete, wechselte er nach Leverkusen.

Nicht, dass Xhaka in London stagniert hätte. Auch dort hatte er verschiedene Herausforderungen zu meistern, an denen er gewachsen ist. Aber es schien, als brauche er noch einmal eine Veränderung, um auch abseits des Platzes den nächsten Schritt zu machen. Der Austausch mit Xabi Alonso, seinem Trainer in Leverkusen, hat dazu beigetragen.

Dass sich Xhaka mit dem Spanier identifizieren kann, liegt auf der Hand. Auch Alonso zog als Profi im Mittelfeld die Fäden und hatte sein Temperament nicht immer im Griff. Heute tritt er äusserst bedacht auf und gilt bereits als grosser Trainer. Kein Wunder, dass sich Xhaka, der eine Trainerausbildung begonnen hat, am 42-Jährigen orientiert und noch mehr Verantwortung übernimmt. "Die negative Phase im Herbst hat mir die Augen geöffnet, dass ich als Captain im Nationalteam nicht die Rolle erfüllt habe, die ich erfüllen muss", sagte Xhaka. Sein neues Rezept: keine Machtspielchen mehr und offene Kommunikation.

"Mit seiner Körpersprache strahlt Granit eine Energie aus, von der alle profitieren." (Pierluigi Tami)

Am Anfang stand England

Es war ein Samstagabend im Juni 2011, als der 18-jährige Granit Xhaka sein Debüt in der Nationalmannschaft gab. Der Gegner war England, der Austragungsort das Londoner Wembley-Stadion mit über 80'000 Fans. Es war die grösstmögliche Bühne für den Beginn einer beeindruckenden Karriere, die Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld schon damals voraussah: "Granit war eine Bereicherung für unser Spiel. Er hat eine grosse Zukunft vor sich."

Am kommenden Samstag heisst der Gegner erneut England. Xhaka, mittlerweile Rekordnationalspieler, könnte zu seinem 130. Einsatz für die Schweiz kommen und mit dem Team den grössten Erfolg der Verbandsgeschichte feiern. "Am Ende geht es um Leidenschaft, um Energie, um ein positives Mindset", so Xhaka. "Und das haben wir bisher sehr gut hinbekommen."

Entwicklungen verlaufen selten linear, sondern eher wellenförmig. Die Frage, ob es derzeit wirklich der beste Xhaka ist, den man in der Nationalmannschaft je gesehen hat, lässt sich deshalb kaum beantworten. In den letzten 13 Jahren hatte er bessere und schlechtere Phasen. Derzeit befindet er sich zweifellos - wie viele andere im Team - in einem Hoch. Seinen beiden Töchtern sagte Xhaka jedenfalls kürzlich, er komme erst nach Hause, "wenn etwas Grosses passiert".

"Granit war schon immer ein Weltklassespieler und er wird noch einige Jahre auf diesem Niveau spielen." (Silvan Widmer)

SDA
...