Zurückhaltung vor dem grossen Showdown
Vor dem EM-Final spucken weder die Engländer noch die Spanier grosse Töne. Die Erwartungshaltung an beide ist jedoch riesig.
Nein, die Favoritenrolle wollen vor dem EM-Final weder die Engländer noch die Spanier zugeschoben erhalten. Im Untergrund des altehrwürdigen Berliner Olympiastadions tönt es am Samstagabend bei Englands Trainer Gareth Southgate zum Beispiel so: "Spanien hatte ein exzellentes Turnier, aber wir haben uns auch hier hin gespielt. Beide Teams haben die Chance, etwas Grossartiges zu erreichen."
Sein spanischer Antipode Luis de la Fuente meint: "In so einem Spiel entscheiden die winzigsten Details. Es kann auf beide Seiten kippen."
Kanes Tauschgeschäft
Es ist keine Überraschung, dass die Finalisten zurückhaltend auftreten und keine forschen Ankündigungen in die Mikrofone diktieren. Zu viel steht am Sonntag auf dem Spiel, zu schnell macht ein unüberlegter Satz in der heutigen Zeit die Runde und wird im Falle eines Misserfolgs genüsslich wieder hervorgekramt.
Und doch wird offensichtlich, wie viel es den Protagonisten bedeuten würde, am Sonntag irgendwann vor Mitternacht die EM-Trophäe in den Berliner Nachthimmel zu stemmen. Harry Kane bekommt auf dem Podium eine Frage gestellt, die er nicht das erste Mal gehört hat. Nämlich, ob er, der in seiner Karriere nach wie vor mit keinem Team einen Titel gewonnen hat, alles bisher Erreichte gegen den EM-Pokal eintauschen würde. "Natürlich", antwortet Englands Captain und lacht.
Der Topskorer der letztjährigen Bundesliga-Saison hatte kein einfaches Turnier, und doch bietet sich ihm, der in Deutschland bisher dreimal getroffen hat, die Chance, den goldenen Schuh des besten Torschützen mit nach Hause zu nehmen. "Ich bin entschlossen, die morgige Nacht zu einer Speziellen zu machen", sagt der 30-Jährige. "Wir hatten schwierige Phasen, aber wir sind durchgekommen. Das gibt uns Selbstvertrauen und Widerstandsfähigkeit."
Der ausgeblendete Druck
Der Druck, der bei so einer Partie entstehen kann, die Millionen von Menschen weltweit verfolgen werden - die Protagonisten blenden ihn aus. De la Fuente sagt, er werde seinen Spielern auf den Weg geben, sie sollten das Spiel vor allem geniessen. "Niemand hat vor dem Turnier viel von diesem Team erwartet. Deshalb können wir sehr stolz darauf sein, was die Spieler erreicht haben." Und Southgate meint, wenn seine Mannschaft keine Angst davor habe, den Final wie beim letzten Mal vor drei Jahren gegen Italien zu verlieren, habe sie eine bessere Chance, das Spiel zu gewinnen.
Es gibt aber doch einen Moment bei diesem letzten Pflichttermin vor dem grossen Showdown, in dem durchschimmert, dass es für England und Spanien eben doch um mehr geht als den silbernen Henri-Delaunay-Pokal. Dass beide Teams in ihren Heimatländern mit immensen Erwartungen konfrontiert sind. Und dass am späten Sonntagabend Millionen von Menschen enttäuscht und traurig ins Bett gehen werden, weil es eben doch nichts geworden ist mit dem Gewinn des EM-Titels.
Gareth Southgate, der in den letzten Wochen konstant in der Kritik stand und über dessen Absetzung wieder intensiv debattiert wurde, sagt: "Wir müssen diese Trophäe wohl gewinnen, um uns den Respekt der Fussballwelt zu verdienen."