Eruptionen und Erneuerungen
Inmitten politischer und gesellschaftlicher Umbrüche präsentiert das Belluard Bollwerk International kreative und gefühlsstarke Ausbrüche.

"Wir möchten, dass sich alle entfachen und kreativ ausbrechen", sagt die künstlerische Leiterin Laurence Wagner zum Programm der 39. Ausgabe des Belluard Bollwerk International. Passend dazu: eruptierende Vulkane in den Strassen, die den Vorbeigehenden von den Werbeplakaten die genannte Kreativität entgegenspeien.
Nötige Eruptionen
Die 26 hiesigen und internationalen Projekte quer durch die Sparten Tanz, Theater, Performance, Musik, Lesung und Installation finden in besagtem Vulkanthema ihre Schnittmenge, dies weniger im destruktiven Sinne, sondern in Form einer kreativen Eruption. So wie beispielsweise das Projekt Vulcanissima: Paradosso tra piaga e brama der Freiburger/Tessiner Künstlerin Rebecca Solari. Zwei Vulkane hat die Künstlerin für das Belluard geschaffen, wobei der erste zum Eröffnungsabend explodieren wird und der zweite während aller Festivaltage spontan aufbrodeln und eruptieren wird. "Die Vulkane gewähren einerseits denjenigen Stimmen Raum, die ihre Gedanken und Gefühle frei äussern möchten und verweisen andererseits auf die Prozesse, die unter der Oberfläche brodeln", wie Solari sagt.
Brodelnd und ausbrechend ist auch die kreative Kraft der Musikerin und Tänzerin Lorena Stadelmann, die am Donnerstag, 30. Juni auf der Bühne stehen wird. In letzter Zeit hat sie vor allem im musikalischen Bereich als Baby Volcano das Publikum entfacht. Ein Mix aus alternativem Pop und Rap mit enorm mitreissender Performance. Im Rahmen des Belluard präsentiert Lorena Stadelmann ihre Tanzperformance Bolero de bienvenida. Bolero verweist hier auf den entsprechenden Musikstil, der sowohl choreografisch als auch textlich eine enorm dramatische Kraft entfaltet, wobei aber auch amüsant mit tragischen Situationen oder persönliche Untergängen umgegangen wird, um schliesslich den tänzerisch versinnbildlichten Schritt in Richtung Neuanfang zu gehen.
Weiter paraphrasiert die Performane von Lorena Stadelmann auch einen zentralen Aspekt des diesjährigen Belluard Programms. Das Bild des Vulkans, der unterirdisch oder unter der Wasseroberfläche brodelt, lauert, Druck generiert und droht, auszubrechen, passt metaphorisch zur aktuellen Welt- und Klimasituation sowie starken Um- und Ausbrüchen in der Gesellschaft. Feminismus, queere Identitätsformen, antirassistische Kämpfe etc. "Ich bin nicht überrascht, ob dem Themenfokus des diesjährigen Belluard Programms", wie Stadelmann sagt. "Dieser postpandemische Drang nach gemeinsamen Ausdrücken und Entgrenzen sowie ein Wiederfinden eines lebensechten Gefühls ist sehr präsent in der Gesellschaft." Äussere und innere Veränderungen, die hinter der etikettierten gesellschaftlichen Fassade spürbar sind. So fokussiert sich Lorena Stadelmann in ihrer Musik, wie auch in ihrer Tanzperformance nicht auf verkopfte Konzepte, sondern lässt den ehrlichen, verletzlichen, emotional starken menschlichen Kern aufbrechen und macht den viszeralen Schwung ihres Boleros fühlbar.
Kreative Erneuerungen
Auf die kathartische Eruption folgt der fruchtbare Neuanfang. Dies ist ebenfalls wichtiger Aspekt der diesjährigen Programmthematik. Die Projekte laden auch zum Reisen ein, zur körperlichen Entgrenzung, zum Eintauchen in andere Lebensrealitäten, Identitäten, Zeiten oder Räume für neue Ideen, wie Laurence Wagner erläutert.
Apropos neue Ideen: Das Kulturvermittlungsprojekt der diesjährigen Ausgabe versucht, neue Perspektiven auf das Belluard zu werfen. Im Rahmen des Projekts #nofilter wird jungen Menschen die Möglichkeit gegeben, das Festival zu besuchen, Interviews zu führen und ihre Eindrücke zu verarbeiten und festzuhalten. Laut der Projektverantwortlichen Diane Fleury stehen hier junge Menschen mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen im Zentrum. #nofilter ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Belluard und dem Kunstenfestivaldesarts in Brüssel. Ein frischer Blick junger Augen auf zeitgenössische Darstellungsformen von Kunst.
Eruptionen und Erneuerungen im Rahmen des facettenreichen und multidisziplinären Programms der 39. Ausgabe des Belluard Bollwerk International.
Erlebnisräume
Das mittelalterliche Bollwerk wird von einigen Programmpunkten als Untersuchungsgebiet für Projekte dienen, die queere und feministische Umschreibungen der Geschichte präsentieren. Das Mittelalter wird vom Kollektiv Foulles in "Medieval Crack" und von der Künstlerin Bryana Fritz in "Submission Submission" unter diesen Gesichtspunkten reininterpretiert. Der Schweizer Kunstnachwuchs wird in der Fortunée des remparts geehrt. Die Bühne unterhalb des Murtentors wird am 25. Juni mit "Ouverture", einem Werk der Choreografin Géraldine Chollet, eröffnet.
Allgemein lädt das diesjährige Belluard das Publikum an verschiedenen Orten in der Stadt und im Kanton Freiburg zu Performances ein: in der Kirche des Kollegiums St. Michael, auf dem Viadukt von Grandfey, im Hof der Universität Miséricorde, auf dem Place du Petit-Saint-Jean, oder auch auf einem landwirtschaftlichen Hof eines Taubendresseurs in Alterswil.