So klingt die 34. Bad Bonn Kilbi
Das Programm der diesjährigen Bad Bonn Kilbi zeigt erneut, mit welchen Stilen und Stimmungen in der aktuellen Musik jongliert wird.
Auch die 34. Ausgabe des von Soundverrückten oft sehnlichst erwarteten Festivals in Düdingen zeigt, wie Musik von Jetzt klingen kann. Ein Hörflug über das Programm verspricht verblüffende Performances, euphorisierende Entdeckungsmomente und ein grosses Fest des aktuellen Musikschaffens.
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Laut und intensiv
Die diesjährige Kilbi wird "intensiv, radikal, laut, perkussiv, mit vielen Beats und viel Neuem", sagt Programmator Daniel "Duex" Fontana im Gespräch. Ab und zu habe es auch etwas Indie-Pop mit schönen Melodien, um das Ganze aufzulockern, aber "tendenziell ist es eher eine harte Angelegenheit." Fontana hat das Programm wieder mit Maisch Gosteli zusammengestellt, der seit letztem Jahr für das Programm von Club und Kilbi mitverantwortlich ist. "Dieses Mal haben wir auch viele Acts, zu denen wir bereits eine Verbindung haben. Entweder haben sie bereits mit anderen Formationen hier gespielt oder waren im Bad Bonn in einer Residenz" ergänzt Maisch Gosteli. Ein Beispiel dafür wäre 222Rn, ein Projekt der beiden Trios Radon und Film 2, die erst vor kurzer Zeit in der Düdinger Lärmstube ihren Sound zusammengezimmert haben.
Besagte Härte ist stilübergreifend hörbar. Egal ob mit wuchtigen Saiten-Hieben, elektronischen Tracks mit schier überbordenden bpm-Raten oder mit intensivem Sprechgesang, ein Grossteil der Kilbi-Acts verarbeiten das allgemeine Unbehagen in der Gesellschaft zum sonischen Protest. So etwa der Doom Rap von Backxwash. Eine dunkle und harte Klangmasse, über welche Backxwash aus Kanada mit grossartigem Flow marode Innen- und Aussenwelten verbrennt. Eine nicht weniger leichtentzündliche Atmosphäre dürfte YHWH Nailgun aus New York mit ihren siedenden, experimentellen Rocktracks generieren oder das Ticino-Freiburger Duo Crème Solaire, die mit ihren performativen Superkräften jede Bühne aus den Angeln heben. Die Qualität dieses hiesigen Duos honorieren die Programmatoren mit dem tollen Slot am Freitagabend um 22:00 Uhr auf der Hauptbühne. "Das ist grosse ehrliche Performancekunst mit Herz".
Weiter auch Ndox Electrique, ein Projekt von François R. Cambuzat und Gianna Greco mit der Gemeinschaft der n'doëp aus dem Senegal, die mit traditionellen Gesängen, verschmelzen Rhythmen und lärmigen Gitarren die elementaren Kräfte zum reinigenden Ritual herbeirufen. Und spätestens bei dreamcrusher bläht sich der Baldachin über der Kilbi zur lärmigen Donnerkuppel. Auch am Schluss gibt's ein eher noisiges DJ-Set von EYE aus Japan (Boredoms) - "Drillcore", wie es Daniel Fontana beschreibt. "Das ist ein schöner Stilbegriff, deswegen sage ich es auch gerne. Ein wenig wie Flipperkasten, nur ein bisschen schneller eingestellt".
Bunte Bands und düstere Delikatessen
Auf den drei Bühnen der 34. Kilbi gibt es aber auch spannende Acts, die in Bandformation auf der Bühne stehen, wie etwa Water From Your Eyes aus Brooklyn, mit ihrem Mix aus experimentellem Pop und Dance Punk, voller Humor und feinem Fatalismus. Ebenfalls aus der arty Ecke: Good Sad Happy Bad (p.k.a. Micachu & The Shapes) um Mica Levi, die nicht nur wissen, wie man Musik mit Kontaktinfektion fabriziert, sondern durch frühere Auftritte im Bonn-Kontext bestens wissen, wie man das Kilbi-Publikum touchieren kann. Auch in dieser Sektion ist mit den Fomies ein Act aus der Schweizer Musikszene vertreten, die mit ihrem exzellent gespielten Garage-Fuzz den Leuten mühelos den Staub des Festivalgeländes aus den Ohren blasen werden.
Chelsea Wolfe ist wohl nicht nur einer der bekanntesten Acts der diesjährigen Kilbi, bei welchem man den Grossteil des mitgereisten Freundeskreises vor der Bühne wiederfindet, sondern kreiert auch eine gewisse Stimmung, die sich an der diesjährigen Kilbi wohl öfters auf dem Felde ausbreiten wird. "Es gibt einige Acts im diesjährigen Programm mit einer Black-Metal-Ästhetik. Über Horror, Zauber, Pop und ein wenig Zeremonie", wie Daniel Fontana sagt. Vielleicht ein Hang zum Träumen, von Zwischenwelten, Andersartigkeiten, über Schrägem, Morbidem, bis Cyberdystopien, wie etwa auch Meth Math aus Mexiko, yeule aus Singapur, die wirklich tollen Blanco Teta aus Argentinien oder auch die bis ins March erschütternde Tanzperformance von Alina Arshi. Die schauderhaft-schöne Seite der diesjährigen Kilbi.
Kilbi-Essenzen
Wie immer geht es an der Bad Bonn Kilbi nicht darum, zu verstehen, was man hört und sieht. "Es geht um die Musik und ich freue mich besonders auf diejenigen Leute, die ohne Vorkenntnis vor die Bühne stehen und sich das ganze Konzert anhören", so Maisch Gosteli. Die Auseinandersetzung mit dem Moment, mit den Gefühlen, welche diese Musik evoziert, ist ein wichtiger Aspekt der Kilbi-Essenz. "Wenn der Jazz, der Pop oder auch die Elektronik, so komisch ist wie hier, dann fängt man an zu suchen, zum Beispiel nach neuen Tanzformen. Das sieht man hier noch häufig, die Leute erfinden irgendwie immer neue Tänze", so Fontana.
Natürlich sorgt das diesjährige Kilbi-Programm auch für crèmigere, sanftere Momente, wie die krautig-groove Rockzerstäubung von EXEK aus Australien, die tollen Pop-Experimente der Freiburger Künstlerin Laure Betris oder der Exotica-Pop von Naomie Klaus aus Paris. Voilà, so oder ähnlich klingt die 34. Kilbi. "Das Ganze ist eine eigene Geschichte, ein Programm mit einer gewissen Dramaturgie", so Maisch Gosteli. "Für uns wird es auch eine intensive Erfahrung sein, diese Acts hier in dieser Kombination zu sehen, und nicht nur als Liste auf einem Blatt Papier".
Wer schon mal an der Kilbi war, weiss, dass das Gelände relativ auf das Wesentliche fokussiert ist. Sprich, neben dem, was man so braucht an Infrastruktur, gibt es viel Platz für die Leute und viel Platz für den künstlerischen Ausdruck. "Es ist immer das Ziel, dass sich hier alle wohlfühlen. Der ganze Freiraum, der ganze Platz gehört der Kunst und dem Publikum", so Fontana. "Was ich super schön oder erwähnenswert finde, sind die ganzen Leute, die helfen. All die Nachbarn, die mitspielen. Das ist das Schönste am Ganzen. Das alles zusammen zu machen, ist das grösste Fest".
Cashless und ohne Tabak-Sponsoring
Die Acts der 34. Bad Bonn Kilbi bespielen wie bis anhin drei Bühnen sowie das Ufer des Schiffenensees. Sonst bleibt punkto Infrastruktur ziemlich alles beim Alten, wie der Veranstalter Patrick Boschung im Gespräch sagt. Was aber neu ist, ist wie man an der Kilbi für Getränke, Essen etc. bezahlen kann. "Die diesjährige Kilbi ist cashfree. Wir akzeptieren nur noch Twint und Kartenzahlungen. Der Aufwand, mit Bargeld am Festival zu hantieren, wurde zu gross", so Boschung.
Ein weitere Herausforderung für die Verantwortlichen stellt das, ist das Tabak-Werbeverbot, das seit dem 1. Januar in Kraft ist. In den letzten Jahren war auf dem Festivalgelände eine Verkaufsstelle für Tabakprodukte präsent und auch finanziell war dies für die Kilbi wichtig. "Wir haben dadurch unseren grössten Sponsor verloren, was finanziell natürlich schmerzt. die Politik meinte zwar, dass es einfach wäre, alternative Sponsoren zu finden, aber wir erhielten bisher nur Absagen. Wir hoffen einfach, die Leute konsumieren mehr", so Boschung.
Das Budget der 34. Bad Bonn Kilbi bewegt sich mit 850'000 - 900'000 Franken im gleichen Rahmen wie in den letzten Jahren und die Verantwortlichen setzen auch weiterhin auf Zusammenarbeit mit lokalen Partnern. "Wir arbeiten fast ausschliesslich mit lokalen Anbietern, mit den meisten arbeiten wir schon seit Jahrzehnten zusammen. Ich würde sagen, aus dem Kanton Freiburg sind das 80-85%, ein paar Berner und noch ein paar von etwas weiter weg", so der Veranstalter.
Erneut sind während der drei Festivaltage über 300 Helfende im Einsatz, die sich um die über 9'000 Personen kümmern, die auch in diesem Jahr nach Düdingen reisen werden, um den wildesten Auswüchsen der aktuellen Musik zu frönen.
34. Bad Bonn Kilbi
30. Mai - 1. Juni 2024, Düdingen
Alle Infos gibt's hier