Vom Nati-Reservisten zum Freiburger EM-Helden
Michel Aebischer rückte an dieser EM unerwartet ins Rampenlicht der Schweizer Nati. Wir schauen auf sein fantastisches Turnier zurück.
Dem durchschnittlichen Nati-Fan war Michel Aebischer vor der Europameisterschaft höchstens ein Name, den man irgendwo mal gehört hatte. Dies, obwohl er an der Weltmeisterschaft 2022 gegen Brasilien eine Viertelstunde auf dem Platz und in drei Pflichtspielen in der Startelf stand. Jetzt - da kennen alle Schweizerinnen und Schweizer mit etwas Fussballaffinität den 27-jährigen Sensler. Wir schauen auf seine letzten Monate zurück:
März 2024 - die höchst überfällige Chance
Bei seinem Club Bologna performt der Heitenrieder. Aebischer gehört zur absoluten Stammkraft und führte das italienische Team gar einige Spiele als Captain an. Nun erhält er im ersten Nati-Zusammenzug des neuen Jahres endlich wieder einmal die Chance, sich zu zeigen. Beim Testspiel-Sieg (1:0) in Irland beruft ihn Trainer Murat Yakin in die Startelf - es ist das vierte Mal in seiner Karriere.
Nati-Zusammenzug in St. Gallen - es deutet sich wieder die Reservistenrolle an
Trotz unglaublicher Saison in Italien (zum ersten Mal schaffte Bologna den Sprung in die Champions League für die kommende Saison) und das "blinde" Verständnis mit Remo Freuler sieht Aebischer beim zweitletzten Testspiel vor der EM von der Bank aus, wie seine "Konkurrenten" Vincent Sierro und Fabian Rieder vor ihm eingewechselt werden. Vier Tage später gegen Österreich kommt der Freiburger kurz vor der Pause in die Partie - wegen einer Verletzung von Steven Zuber.
Startelf-Überraschung und Gänsehaut-Halbzeit
Und plötzlich steht Aebischer beim EM-Auftakt am 15. Juni in Köln gegen Ungarn doch in der Startelf. Viele Nati-Fans reiben sich die Augen - vor allem der Position geschuldet. Der zentrale Mittelfeldspieler soll über die linke Seite agieren. Es war für alle eine Überraschung, ausser vielleicht für ihn selbst. Aebischer wusste bereits am Dienstag, dass er in der Startelf stehen wird. Für die Ungaren war es die grösste Überraschung, die in der ersten Halbzeit nicht wussten, wie sie den Sensler verteidigen sollen, der bei eigenem Ballbesitz immer ins Zentrum gerückt ist. Es dauerte nur zwölf Minuten und die Startelf-Überraschung durch Aebischer und Kwadwo Duah sollte sich ausbezahlen. Der Bologna-Akteur spielt einen sensationellen Pass auf Duah, der eiskalt abschliesst. Die Freude währte vorerst nur kurz, weil der Assistent die Fahne hob. Der Videoschiedsrichter gab den Treffer jedoch anschliessend und es brachen ein erstes Mal alle Dämme.
Und es kommt noch besser: Es läuft die 45. Minute, als Aebischer die Hände hochhebt. Er will den Ball, dann sieht ihn Remo Freuler doch noch und passt den Ball weiter. Der 27-jährige Heitenrieder nimmt den Ball an, täuscht kurz nach links, legt ihn aber nach rechts und schliesst aus 20 Metern ab. Unten rechts schlägt der Ball im Tor von Ungarn ein, das erste Tor im Nationaltrikot für Michel Aebischer ist eine Augenweide.
Der Rest ist nur noch Gänsehaut. Die Halbzeit seines Lebens. Die Schweiz gewinnt das Auftaktspiel 3:1 und löst im ganzen Land eine Euphorie aus.
Die tragende Rolle zieht sich durch
Auch in den darauffolgenden Gruppenspielen gegen Schottland und Deutschland setzt Yakin auf Aebischer als linken Aussenspieler. Logischerweise weniger auffällig und dennoch: Die Bayern-Stars Joshua Kimmich und Jamal Musiala haben nach der Partie wohl nicht schön geträumt. Der Heitenrieder war bissig in den Zweikämpfen und brachte die Deutschen zum Verzweifeln.
Im Achtelfinale beginnt Aebischer gegen Italien wieder. Ein Zuckerpass auf Embolo in der ersten Halbzeit und kurz nach der Pause das Assist zum 2:0. Also wieder ein grandioses Spiel des Senslers. Im Viertelfinale muss er gegen Bukayo Saka ran. Der wirblige Flügel bereitet dem Freiburger viel Mühe. Doch ist ihm das zu verübeln? Saka liess und lässt auch in Zukunft auch gestandene Aussenverteidiger alt aussehen, da darf ein gelernter zentraler Mittelfeldspieler auch ein bisschen Mühe bekunden. Kurz vor dem bitteren Penaltyschiessen und dem Ausscheiden der Schweiz endet der EM-Auftritt des Senslers, er wird ausgewechselt.
Aebischer spielte sich an der Europameisterschaft ins Rampenlicht und zeigte auf internationaler Bühne, was er drauf hat. Die vergangenen Wochen werden dem Freiburger EM-Helden immer in Erinnerung bleiben.