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Fünf Geschichten hinter dem Fussballfest

Die 17. Europameisterschaft ist Geschichte. Auf und abseits des Rasens lieferte das Turnier in Deutschland viel Gesprächsstoff. Fünf Episoden aus 28 Tagen an der EURO 2024.

Erst kritisiert, dann von allen geherzt: Spaniens Nationalcoach Luis de la Fuente © KEYSTONE/EPA/HANNIBAL HANSCHKE

Selfies mit dem Europameister-Trainer

Spanien ist zum vierten Mal Europameister. Das junge Team von Luis de la Fuente hatte vor einem Monat nicht zum engsten Kreis der Favoriten gehört. Diesen bekleideten vielmehr die Franzosen, die Engländer und Gastgeber Deutschland. Aber die Iberer waren in Deutschland die konstanteste Mannschaft, die auf überragende junge Individualisten zählen konnte. Lamine Yamal, der zum besten jungen Spieler des Turniers gekürt wurde, bereitete das 1:0 im Final vor und zementierte damit dank seiner vierten Vorlage den Status als bester Vorbereiter. Und Nico Williams, der als bester Spieler des Finals ausgezeichnet wurde, ebnete den Spaniern mit seinem zweiten Treffer der EM den Weg zum Sieg.

Vor allem aber bestach die "Selección" als starkes Kollektiv, als gut funktionierendes Team, in dem jeder wusste, was seine Aufgabe war. Und als Team, das nach Gegentreffern stets eine Antwort parat hatte. Wie im Final, als Mikel Oyarzabal nach dem Ausgleich von Englands Cole Palmer die Spanier entscheidend in Front bringen konnte. Der in Bilbao engagierte Williams wird übrigens umworben vom FC Barcelona. Gut möglich also, dass die spanische Flügelzange Yamal-Williams bald auch für die Katalanen wirbeln wird.

Trainer Luis de la Fuente wurde seit seinem Amtsantritt nach der WM in Katar kritisch betrachtet, von Fans, aber auch von den Medien. Entsprechend scheute der 63-Jährige nie vor Konfrontation mit Medienschaffenden zurück. Nach seinem bisher grössten Triumph als Trainer gibt sich de la Fuente aber äusserst nahbar und erfüllt im Untergrund des Berliner Olympiastadions jeden Wunsch nach einem Selfie mit den Pressevertretern, die ihm teils euphorisiert um den Hals fallen.

In der Oase Weimar

In jeder der zehn Austragungsstädte wurden grosszügige Zonen eingerichtet für die Fans, in der sie im Public Viewing nicht nur die 51 EM-Spiele verfolgen konnten, sondern auch zahlreiche Aktivitäten und Konzerte stattfanden. Die grösste Fanzone erstreckte sich durch Berlin, und hinter dem Brandenburger Tor wurde nach Angaben der Veranstaltenden das grösste Fussballtor der Welt aufgestellt - 23 Meter hoch, 64 Meter breit.

Wer wollte, konnte sich also einen Monat lang im Mikrokosmos Fanzone verlieren und sich darüber freuen, dass die "wichtigste Nebensache der Welt" für Millionen Menschen gerade die Hauptsache ist.

Es war aber überraschenderweise gar nicht so schwierig, dem EM-Trubel zu entfliehen. Zwei Stunden im Zug, und schon ist die EURO 2024 nur noch irgendein Event, der halt gerade in Deutschland stattfindet. Wie ein Besuch in Weimar Anfang Juli zeigte. Beim Spaziergang durch die beschauliche Kleinstadt in Thüringen interessieren Goethe und Schiller, die in Weimar gelebt haben und auf dem Theaterplatz mit einem Denkmal verewigt sind, mehr als Gakpo und Stanciu, die zu diesem Zeitpunkt im Achtelfinal zwischen der Niederlande und Rumänien auf dem Feld stehen.

Menschentrauben, die sich vor Bildschirmen bilden, gibt es hier nicht. Aus dem simplen Grund, dass gar keine Bildschirme aufgestellt sind, welche die Fussballfans anziehen könnten. Hat die Gastgeberin einer der vielen rustikalen Braustuben aber ein Herz für die Europameisterschaft, lässt sie ein Spiel doch laufen, als Hintergrundrauschen zu klirrenden Gläsern und Besteck.

Auf Schienen

Apropos Reisen. Im Vorfeld der EM war eine verbreitete Sorge, dass die Deutsche Bahn nicht mit dem Menschenaufkommen zurechtkommen oder dass es im schlimmsten Fall gar zu einem Streik kommen würde. Denn schliesslich könnten unzufriedene Mitarbeitende der DB wohl selten so viel Aufmerksamkeit generieren wie während eines weltweit beachteten Fussballturniers. Doch zu Streiks kam es nicht. Das Transportunternehmen, das als offizieller Mobilitätspartner der EURO 2024 dazu beitragen wollte, die "nachhaltigste EM überhaupt" durchzuführen, zog am Freitag gar ein überaus positives Fazit. Über zwölf Millionen Fans hätten die Fernverkehrszüge im letzten Monat genutzt, und trotzdem sei immer für alle Reisenden genug Platz vorhanden gewesen. "Gemischt" fällt das Fazit der DB einzig im Bereich der Pünktlichkeit aus.

Es ist ein Thema, vor dem auch hochrangige Funktionäre wie Turnierdirektor Philipp Lahm nicht gefeit waren, der nach einer Verspätung seiner Zugverbindung nur noch Teile der Partie zwischen der Ukraine und der Slowakei im Düsseldorfer Stadion verfolgen konnte. Auch das Schweizer Nationalteam reiste an diesem Turnier ein paar Mal mit dem Zug zu ihren Verpflichtungen. Die niederländische Mannschaft musste vor dem Halbfinal in Dortmund gegen England aber kurzfristig auf ein Flugzeug ausweichen, weil ihre Verbindung gestrichen wurde. DB-Europameister ist die rumänische Delegation, die sich sechsmal mit dem Zug befördern liess.

Nach mehreren Tausend DB-Kilometern und mehreren Verspätungsstunden lässt sich konstatieren: Der Kluge reist im Zuge - aber der Kluge reist auch mit einer frühen Verbindung an.

Stimmgewaltige Schotten

Hunderttausende Fans pilgerten für diese EM von überall her nach Deutschland. So die Deutsche Bahn denn wollte. Nicht alle brannten sich mit ihren Auftritten nachhaltig in die kollektive Erinnerung. Oder mag man sich noch an eine Besonderheit der polnischen Supporter erinnern? Es waren andere Fangruppen, die für positive Schlagzeilen sorgten. Die stimmgewaltigen Schotten etwa, welche ihre Hymne "Flower of Scotland", begleitet von traditioneller Dudelsackmusik, mit derartiger Inbrunst überall zu intonieren pflegten, dass die Leidenschaft und Hingabe für die "Bravehearts" in jeder Faser zu spüren und zu sehen war. "No Scotland, no Party" war ein beliebter Gesang der meist im Kilt reisenden Schotten, die suggerierten, dass das Fussballfest nach ihrem Ausscheiden in der Vorrunde vorbei sein würde.

Den Gegenbeweis dazu lieferten die Niederländer, die einem Turnier einmal mehr einen orangen Farbtupfer verliehen. Zig Tausende Fans der Oranje sangen und tanzten in den Strassen von Hamburg, Leipzig, Berlin und München. Und machten den Partysong "Links rechts" der Band Snollebollekes zu ihrer Hymne auf dem Weg zur erstmaligen Halbfinalqualifikation der Elftal seit 20 Jahren.

Cucurellas Arm, Schärers Bestimmtheit

Diese EM hat es wieder einmal gezeigt. Was vor Einführung des Videoschiedsrichters als Effekt angenommen wurde, nämlich, dass weniger über die Schiedsrichter und ihre Entscheide diskutiert wird, ist nicht eingetreten. Gewissermassen die Mutter aller Diskussionen brach los, als Gastgeber Deutschland im Viertelfinal gegen die Spanier ein Penalty verwehrt wurde, obwohl der Ball im Strafraum an den Arm von Verteidiger Marc Cucurella geflogen war. Der Engländer Anthony Taylor wurde von Fussballdeutschland an den Pranger gestellt und als Sündenbock auserkoren, das zweite Sommermärchen nach 2006 verhindert zu haben.

Im emotionsgeladenen Millionengeschäft Fussball gehören solche Diskussionen dazu, schliesslich hegen ganz viele Menschen immense Hoffnungen, dass genau ihr Nationalteam am Ende zuoberst stehen wird. Entsprechend werden auch ganz viele enttäuscht.

Sandro Schärer pfiff sich an seiner ersten Endrunde weniger ins Rampenlicht. Der Schwyzer kam zweimal zum Einsatz und scheute sich auch nicht davor, Ikonen in den Senkel zu stellen. Wie Cristiano Ronaldo, der im letzten Gruppenspiel der Portugiesen gegen Georgien (0:2) verwarnt wurde, nachdem ihm Schärer keinen Penalty zugesprochen hatte, was den 39-Jährigen ins Zetern brachte.

SDA
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